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Kündigung wegen „Ungehorsam“ – muss der Arbeitnehmer rechtswidrige Weisungen des Arbeitgebers vorübergehend befolgen?

Anmerkung zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 14. Juni 2017 – 10 AZR 330/16 –

Hintergrund – das Weisungsrecht und seine Auswirkungen

Im Arbeitsverhältnis hat der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer ein Weisungsrecht (auch Direktionsrecht genannt). Aufgrund seines Weisungsrechts kann der Arbeitgeber einseitig und formlos bestimmen, welche Arbeit der Arbeitnehmer in welcher Weise, wann und wo leisten muss.

Eine rechtmäßige Weisung des Arbeitgebers muss der Arbeitnehmer befolgen. Befolgt der Arbeitnehmer eine rechtmäßige Weisung nicht, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Abmahnung erteilen. Im Einzelfall kann der Arbeitgeber sogar ohne vorherige Abmahnung sofort eine Kündigung aussprechen. Die Kündigung kann dann zumeist außerordentlich und fristlos und nicht bloß ordentlich und fristgerecht ausgesprochen werden.

Eine Weisung des Arbeitgebers ist rechtmäßig, wenn sie

  1. nicht gegen den Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder gegen Gesetze verstößt und
  2. wenn sie „billigem Ermessen“ entspricht bzw. nicht „unbillig“ ist. Das ist der Fall, wenn der Arbeitgeber berechtigte, für ihn erkennbare Interessen des Arbeitnehmers an der Nichtbefolgung der Weisung berücksichtigt und berechtigte Interessen des Arbeitgebers an der Befolgung der Weisung diese Interessen des Arbeitnehmers überwiegen („Interessenabwägung“).

Anderenfalls ist die Weisung rechtswidrig.

Der Verstoß einer Weisung gegen den Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetze lässt sich häufig leicht feststellen. Ein Beispiel: in einem Arbeitsvertrag steht zum Arbeitsort ausschließlich: „Arbeitsort ist Hannover.“. Eine Weisung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, künftig in Hamburg zu arbeiten, würde gegen den Arbeitsvertrag verstoßen und wäre daher rechtswidrig.

Eine Weisung des Arbeitgebers, die gegen Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetze verstößt, muss der Arbeitnehmer auch nicht befolgen.

Dagegen lässt sich die Billigkeit einer Weisung meistens selbst nach gründlichster Prüfung nicht zuverlässig feststellen.
Die Rechtsprechung gibt hierzu nämlich nur grob vor, dass eine Interessenabwägung vorzunehmen ist und dass dabei „die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt“ werden müssen. Sie gibt aber bislang nicht genau vor, wie die Interessenabwägung vorzunehmen ist, welche Interessen berücksichtigt werden können oder müssen und welches Gewicht bestimmte Interessen jeweils haben.

Das höhere Risiko, die Billigkeit einer Weisung falsch zu beurteilen, trägt nach der Rechtsprechung der Arbeitnehmer.
Hält der Arbeitnehmer eine Weisung zu Unrecht für unbillig und befolgt sie daher nicht, riskiert er seinen Arbeitsplatz und damit seine Existenzgrundlage. Hält der Arbeitgeber zu Unrecht eine Weisung für nicht unbillig und zahlt daher kein Arbeitsentgelt, ggf. nach einer Kündigung, riskiert er lediglich, dieses Arbeitsentgelt nachträglich doch noch zahlen zu müssen.

Folgt die Rechtswidrigkeit einer Weisung somit nicht schon aus einem Verstoß gegen Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge oder Gesetze, sondern allenfalls aus ihrer Unbilligkeit, sollte der Arbeitnehmer die Weisung bis zu einer gerichtlichen Klärung ihrer Rechtmäßigkeit schon im eigenen Interesse vorübergehend befolgen. Anderenfalls geht er ein nahezu unkalkulierbares, zu hohes Risiko ein.

Eine „vorübergehende“ Befolgung der Weisung kann allerdings lange andauern.
Eine Klärung der Billigkeit der Weisung durch ein Arbeitsgericht kann der Arbeitnehmer erst nach mehreren Monaten herbeiführen. Unterliegt der Arbeitgeber, kann er in den meisten Fällen ein Berufungsverfahren erzwingen und die Dauer des Rechtsstreits dadurch noch erheblich verlängern. Ein Eilverfahren ist nach der überwiegenden Rechtsprechung in der Regel nicht möglich, weil es „nicht zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich ist“, wenn über die Billigkeit einer Weisung gestritten wird.

Das Einzige, was dem Arbeitnehmer in solchen Situationen effektiv helfen kann, sind Arbeitnehmervertretungen wie ein Betriebsrat. Dieser muss manchen Weisungen des Arbeitgebers zustimmen. Verweigert er die Zustimmung, muss auch der Arbeitnehmer die Weisungen nicht befolgen. Der Arbeitgeber müsste die fehlende Zustimmung durch das Arbeitsgericht ersetzen lassen.

Diese ohnehin missliche Lage des Arbeitnehmers wurde durch die Rechtsprechung des 5. Senates des Bundesarbeitsgerichts noch zusätzlich verschärft.
Dieser hat entschieden, dass ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Vergütung habe, wenn er er eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht befolgt und darum nicht arbeitet, solange diese Unbilligkeit nicht durch ein rechtskräftiges Urteil feststeht. Es fehle dann der Leistungswille des Arbeitnehmers als notwendige Voraussetzung eines Annahmeverzugs des Arbeitgebers für solche Zeiträume.

Der 5. Senat hat nicht darüber entschieden, ob der Arbeitnehmer Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verletzt, wenn er eine unbillige Weisung des Arbeitgebers vorübergehend nicht befolgt und ob er wegen dieser Pflichtverletzung abgemahnt oder gekündigt werden kann. Dennoch wurde diese Rechtsprechung aus nachvollziehbaren Gründen auch in diesem Sinne verstanden.

Der aktuelle Fall – Rechtmäßigkeit einer Weisung zur Änderung des Arbeitsortes (Versetzung)

In einem aktuellen, bei dem 10. Senat anhängigen Rechtsstreit klagt ein Arbeitnehmer im Wesentlichen auf Feststellung, dass er eine konkrete Weisung seines Arbeitgebers nicht befolgen musste, auf Entfernung von zwei wegen Nichtbefolgung dieser Weisung vom Arbeitgeber erteilten Abmahnungen aus seiner Personalakte und auf Zahlung von Vergütung für Zeiträume, in denen er die Weisung nicht befolgte.

Inhalt der Weisung war, dass der Kläger seine Arbeit nicht mehr wie bisher in Dortmund, sondern für sechs Monate in Berlin verrichten sollte. Das hauptsächliche Interesse des Arbeitgebers an der Befolgung dieser Weisung war nach seinen Angaben die Wiederherstellung des Betriebsfriedens in dem Arbeitsteam des Klägers in Dortmund. Das Team habe sich geweigert, weiterhin mit dem Kläger zusammenzuarbeiten.

Der Kläger befolgte diese Weisung nicht und erschien in Berlin nicht zur Arbeit. Deswegen erteilte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zwei Abmahnungen und zahlte dem Arbeitnehmer keine Vergütung mehr. (Als der Arbeitnehmer auch auf die zweite Abmahnung nicht reagierte, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich und fristgerecht. Die Kündigung ist jedoch Gegenstand eines anderen Gerichtsverfahrens).

Das Arbeitsgericht Dortmund stellte die Unwirksamkeit der Weisung fest und verurteilte den Arbeitgeber zur Entfernung der Abmahnungen aus der Personalakte und zur Zahlung der Vergütung. Es hielt die Weisung schon wegen eines Verstoßes gegen den Arbeitsvertrag für rechtswidrig.

Die Berufung des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht Hamm zurückgewiesen. Es hielt die Weisung aber nicht wegen eines Verstoßes gegen den Arbeitsvertrag für rechtswidrig, sondern wegen Unbilligkeit. Der Arbeitgeber habe nicht ausreichend begründet, dass seine Interessen an der Versetzung nach Berlin die Interessen des Arbeitnehmers an der Beibehaltung des Arbeitsortes Dortmund überwiegen. Der Arbeitnehmer sei auch nicht verpflichtet gewesen, der Weisung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über ihre Billigkeit nachzukommen. Schließlich habe der Arbeitnehmer auch den eingeklagten Vergütungsanspruch, insbesondere habe ihm nicht der Leistungswille gefehlt. Sein Leistungswille beziehe sich zwar nicht auf die Arbeitsleistung in Berlin, aber auf die – vertraglich allein geschuldete – Arbeitsleistung in Dortmund. In diesen Punkten wich das Landesarbeitsgericht von der Rechtsprechung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts bewusst ab und ließ die Revision zu.

Der Arbeitgeber legte gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Revision ein. Der mit der Revision befasste 10. Senat des Bundesarbeitsgericht beabsichtigt offenbar, die von der Beklagten eingelegte Revision insgesamt zurückzuweisen. Es ist wie das Landesarbeitsgericht der Meinung, dass die Weisung des Arbeitgebers unbillig war und dass allgemein der Arbeitnehmer eine unbillige Weisung des Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig – befolgen muss.

Der 10. Senat konnte nicht sogleich entscheiden, sondern musste den 5. Senat fragen, ob dieser an seiner bisherigen Rechtsauffassung festhält.

Fazit

Für die Rechtsauffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm und des 10. Senats des Bundesarbeitsgerichts sprechen bessere Argumente als für die Rechtsauffassung des 5. Senats. Unseres Erachtens ist es überwiegend wahrscheinlich, dass sich die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entsprechend derjenigen des 10. Senats ändern wird.

Das grundsätzliche Problem bleibt aber, dass die Unbilligkeit einer Weisung im Voraus nicht mit der nötigen Gewissheit beurteilt werden kann und wie der Arbeitnehmer bei dieser Ungewissheit mit einer konkreten Weisung des Arbeitgebers umgehen soll.